Wie Parteien „denken“ und Politik „verstehen“

Wie Parteien „denken“ und Politik „verstehen“
15. Januar 2017 homopoliticus (Pseudonym)

Wie Parteien „denken“ und Politik „verstehen“

Es ist das politische Thema in den Medien an diesem Wochenende. „Erika Steinbach tritt aus der CDU aus“. Die Gründe sind bekannt – Frau Steinbach steht seit längerem der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin höchst kritisch gegenüber und wirft Merkel in mehreren Fällen Rechtsbruch vor.

Prompt meldet sich – insbesondere in den sozialen Medien – ein bunter Strauß von Parteifreunden zu Wort, die der – jetzt ehemaligen CDU-Parteifreundin – ein paar unfreundliche Dinge (allerdings in blumige Worte verpackt) hinterher rufen.

Das Spektrum geht von „Sie (Steinbach) sei gar keine Juristin und können die Rechtslage zur Flüchtlingspolitik gar nicht richtig einschätzen“ über die „Danksagung“ ihres CDU-Landesverbandes Hessen „Es wäre konsequent, wenn sie (Steinbach) nun auch ihr Bundestagsmandat niederlegt, das sie über die CDU geholt und der Partei zu verdanken hat“ bis hin zu offenen Beschimpfungen, die hier keine Erwähnung finden.

Freund – Feind – Parteifreund; die Bildung dieses „imperativen Freundschaftsbezuges“ lernt man früh in allen Parteien.

Es lohnt sich allerdings, noch einmal das Augenmerk auf die Aussage des Generalsekretärs der Hessen-CDU, Herrn Manfred Petzt, zu richten:

„Es wäre konsequent, wenn sie nun auch ihr Bundestagsmandat niederlegt, das sie über die CDU geholt und der Partei zu verdanken hat“.

Diese Aufforderung wird unisono in den Parteien verwendet, wenn ein „Parteifreund“ die Partei verlässt. Sie offenbart, wie – möglicherweise schon sehr lange – in der deutschen Parteienlandschaft gedacht wird.

Der/die Mandatsträger/in hat der Partei etwas zu verdanken! Wird die Person also gewählt, weil irgendein politisches Etikett – also CDU, SPD, FDP, Grüne, Linke, AFD, etc. darüber steht? Eine sehr „merkwürdige Denke“ der Partei-Vorderen. Die Idee, dass eine Partei aufgrund der sie vertretenden Persönlichkeit gewählt werden könnte, scheint wohl abwegig zu sein.

Auch muss man sich den Aufstieg in einer Partei erst einmal verdienen, denn man ist ja nicht per se durch Qualitätsmerkmale wie Persönlichkeit, Charisma und politischer sowie intellektueller Kompetenz für ein Mandat qualifiziert. In der Politik sind oftmals andere „Qualitäten“ gefragt. Dies sei hier beispielhaft einmal beschrieben:

Ein politisch interessierter junger Mensch will sich aktiv politisch betätigen und tritt in die Jugendorganisation der Partei ein. Dort darf er/sie erst einmal in die „große weite Welt“ der Politik hinein schnuppern und sich austoben. Steht eine Wahl an, dürfen die Nachwuchspolitiker sich erst einmal „verdient machen“ indem sie als „Plakate-Kleber“ für die Alt-Vorderen den Wahlkampf mitgestalten und diesen zu Amt und Würden verhelfen. Mit der Altersgrenze von 35 Jahren und dem einhergehenden „Löschgrund Alter“ wird man dann in der Mutterpartei, so man bereits Mitglied ist, vom Nachwuchs zum „Jungen Wilden“.

Wer in der Nachwuchsorganisation noch nicht mit dem „Strippenziehen“ begonnen hat, sollte dies nun tunlichst beginnen, denn sonst wird es nichts mit einem Mandat – weder auf kommunaler, noch auf Landes- oder Bundesebene. Auch parteiintern sind die wichtigen Posten wie Stadtverbands-Vorsitzender, Kreisvorsitzender, Bezirksvorsitzender sowie die weiteren Vorstandsposten – wie könnte es anders sein – von den Mandatsträgern aus Kommune, Land und Bund besetzt. So ist der Landtags- oder Bundestagsabgeordnete oftmals auch Kreisvorsitzender seines Wahlkreises – Kontrolle der Partei und der „gezogenen Strippen“ ist zum Erhalt der eigenen Macht (-Position und damit dem Mandat) sehr wichtig.

Man muss aber nicht nur nach unten (gemeint ist die Parteibasis) kontrollieren, sondern auch von unten nach oben „gefallen“ um möglichst Parteikarriere zu machen. Dementsprechend läuft eine Umsetzung von politischen Themen und Personalentscheidungen nach festen (teils unausgesprochenen) Regeln.

Die politische Meinungsbildung findet kaskadenartig von oben nach unten (Stichwort: Kontrolle) statt.
Die Karriere muss von unten nach oben (Stichwort: „gefallen“) organisiert werden.

Schauen wir beispielhaft wieder auf die Ebene des kommunalen Kreises:

Der Kreisvorsitzende (und meist MdB) besetzt ein politisches Thema (oder bekommt eins von höherer Ebene). Dieses Thema wird vom Kreisvorstand in ein Positionspapier verpackt, über das der Kreisparteitag zu beschließen hat. Gegebenenfalls können Anträge zur Änderung von der nächsten unteren Ebene – also den Stadtverbänden – gestellt werden.

Da im Kreisvorstand die Stadtverbandsvorsitzenden (als Beisitzer) an diesem Papier „mitgewirkt“ haben, werden sie die Position des Papieres mit wenig Kritik begleiten, denn (vielleicht, vielleicht) wird man ja auch einmal stellvertretender Kreisvorsitzender und dann (vielleicht, vielleicht) Kreisvorsitzender. (Stichwort: „gefallen“, von unten nach oben). Außerdem läuft man als Stadtverbandsvorsitzender Gefahr, bald nicht mehr Stadtverbandsvorsitzender zu sein, wenn man sich nicht an diese unausgesprochene Regel hält. Dementsprechend wird dann das Positionspapier im Stadtverband propagiert.

Es kommt der Kreisparteitag, auf dem nun über das (vorgegebene) Positionspapier entschieden wird. Sollte der Stadtverbands-Vorsitzende Änderungsanträge der Parteibasis nicht vermieden haben können, greifen zwei (unausgesprochene) Sicherheitsmechanismen:

  1. Die Antragskommission. Die Antragskommission, die die Anträge der Parteibasis im Vorfeld zugesandt bekommen hat, „empfiehlt“ eine Annahme oder Ablehnung der Änderung. Die Kommission ist selbstverständlich mit Personen besetzt, die von der Thematik etwas verstehen, also Stadtverbandsvorsitzenden, Vorstandsmitgliedern oder Mandatsträgern. Wie werden also die Empfehlungen aussehen? (Stichwort: „gefallen“, von unten nach oben)
  1. Der Stadtverbandsvorsitzende ist natürlich in der Nähe der Delegierten seines Stadtverbandes und beobachtet das (vorab besprochene) Abstimmungsverhalten seines Stadtverbandes (Stichwort: „kontrollieren“, von oben nach unten). Wie wird also abgestimmt? (Stichwort: „gefallen“, von unten nach oben)

Ende des Beispiels. Vielleicht ein Einzelfall? Gegebenenfalls analog anzuwenden auf Organisationsstrukturen im Bezirk, Land und Bund.

Diese unausgesprochenen Regeln werden in den Parteien wohl angewandt – zumindest ist das beispielhaft bekannt. Politische Willensbildung findet im beschriebenen Fall also nicht von unten nach oben, sondern von oben nach unten statt. In welchen Parteien, wo, und wie häufig bleibt der Einschätzung des Lesers überlassen.

Das mögliche derartige unausgesprochene Regeln manchmal nicht befolgt werden, zeigte jüngst das Beispiel des Bundesparteitages einer Partei, bei dem eine knappe Mehrheit (51 Prozent) für die Abschaffung des „Doppelpasses“ votierte. Wie gut, dass es dann noch die Parteivorsitzende gibt, die sagte: „Ich halte den Beschluss für falsch. Es wird in dieser Legislaturperiode keine Änderung geben. Ich glaube auch nicht, dass wir einen Wahlkampf über den Doppelpass machen, wie wir das früher mal gemacht haben.“

 

hp | 15.01.17