
Die Wahl in den Niederlanden: Eine etwas andere, nicht mainstreamkonforme Einordnung für Deutschland – plus Gedankenspiel
Tätääräää-tätä-tä-täää… die medialen Herolde verkünden es aller Orten (in Europa): Wilders (und damit verbunden die europäischen Rechtspopulisten) sind (allesamt) geschlagen – deren Siegeszug ist gestoppt!
Der Held, der „das Böse“ besiegte: Mark Rutte, seines Zeichens Ministerpräsident der Niederlande. Und um es an dieser Stelle gleich klar zu sagen: Rutte war und ist ein guter Ministerpräsident; er hat in einer Art großen Koalition das Land weitestgehend gut regiert. Aber darum geht es in diesem Artikel nicht, sondern um die mediale Einordnung des vorläufigen, noch nicht amtlichen Wahlergebnisses, insbesondere durch die deutschen Medien – ergänzt um ein Gedankenspiel.
Hier einige Auszüge der medialen Darstellung:
Die Welt (online)
>> Einen Abend lang der Held Europas
Mark Rutte ist der große Sieger der Wahl in den Niederlanden und verweist Geert Wilders auf die Plätze. Nicht nur in Den Haag bricht Jubel aus. „Ganz Europa sieht: Holland sagt nein zum Populismus!“ <<
Spiegel (online)
>> Sieg der Vernunft
Mit Vorsprung gewinnt Premier Rutte die Wahl in den Niederlanden, Rechtspopulist Wilders hatte keine Chance und landet wohl auf Platz zwei. Als Krisenmanager im Streit mit Erdogan konnte der Regierungschef offenbar punkten. <<
Tagesschau (online)
>> Rutte siegt und sucht eine neue Regierung
Die Niederlande sagen „Ja“ zur EU: Bei den Parlamentswahlen hat sich Ministerpräsident Rutte gegen den Rechtspopulisten Wilders durchgesetzt. Laut Hochrechnung erhielt seine Partei 21,2 Prozent der Stimmen, Wilders PVV 13,1 Prozent. <<
Diese wenigen Beispiele zeigen: Weitestgehend ist der Duktus in den deutschen Medien auf den Sieg der VVD (die Partei Ruttes) über die PVV (die Partei von Wilders) ausgerichtet. Doch es stellt sich die Frage, ob eine derartige Betrachtung zur Einschätzung der politischen Entwicklungen und Tendenzen ausreichend ist. Geht es nur um die Einordnung eines Sieges einer rechtsliberalen Partei (der VVD) über eine rechtskonservative Partei (der PVV)?
In der Gesamtbetrachtung des Wahlergebnisses müssten die Überschriften eigentlich anders lauten bzw. der Ausgang der Wahl im Bezug auf den vermeindlichen Sieg über die Rechtspopulisten anders interpretiert werden – wenngleich das nicht einfach ist, denn das niederländische Parlament ist in seiner Zusammensetzung mit dem deutschen Bundestag schwerlich vergleichbar. Das liegt unter anderem daran, dass es in den Niederlanden keine künstliche Fünf-Prozent-Hürde gibt. Dementsprechend teilen sich 13 Parteien die 150 Sitze im niederländischen Parlament, noch deutlich mehr (28 Parteien) hatten sich zur Wahl gestellt.
In Gewinnen und Verlusten sieht es wie folgt aus:
Wie könnte nun eine etwas andere, nicht mainstreamkonforme Einordnung des Wahlergebnisses aussehen?
Zuerst bleibt festzuhalten, dass die Niederlande in den letzten Jahren von einer Art großen Koalition – bestehend aus VVD und PvdA – regiert wurden. Bis zur jüngsten Wahl hatte die rechtsliberale VVD 41 Sitze und die PvdA (politisch ähnlich der deutschen SPD) 38 Sitze. Summe 79 Sitze (von 150 im niederländischen Parlament).
Bei der Wahl vom 15.03.17 verlieren die beiden Regierungsparteien einen Großteil ihrer Sitze – insbesondere die „Schwesterpartei“ der SPD.
- Die VVD verliert 8 Sitze und fällt auf nunmehr 33.
- Die PvdA verliert 29 Sitze und fällt nunmehr auf 9.
Man darf hier wohl insbesondere im Falle der PvdA von wirklich dramatischen Verlusten sprechen – die Partei verliert mehr als 75 Prozent ihrer Sitze/Mandate. Auch die VVD verliert – hier sind es circa 20 Prozent der Sitze (absolut).
Die D66 – (sozial-liberal) politisch ähnlich der FDP – gewinnt 7 Sitze hinzu und kommt nunmehr auf 19 Sitze im niederländischen Parlament.
Die CDA – politisch ähnlich der CDU – gewinnt ebenfalls und kommt erreicht nach vormals 13 Sitzen nunmehr ebenfalls 19 Sitze.
Soweit, so gut. Der eigentliche Gewinner der Wahl ist die GL (GrünLinks), die sich von 4 auf 14 Sitze mit einem Zugewinn von 10 Mandaten deutlich verbessert.
Und Wilders, bzw. die PVV? Die Partei gewinnt ebenfalls 5 Mandate hinzu und wird mit 20 Sitzen zweitstärkste Kraft im niederländischen Parlament.
Kann man also von einem Sieg über die rechtskonservative PVV sprechen, nur weil diese nicht stärkste Kraft in den Niederlanden geworden ist? Oder sollte man nicht besser fragen, warum die Erosion der sogenannten Volksparteien weiter voran schreitet?
Nochmal… ein direkter eins-zu-eins Vergleich mit der politischen Landschaft in Deutschland ist nicht möglich; allein schon deshalb, weil die Niederländer Parteien wie der „Partei der Tiere“ (FvD) oder die Partei der über 50-jährigen (50P) ihre Stimme geben können und diese aufgrund der nicht vorhandenen Fünf-Prozent-Hürde ins Parlament einziehen dürfen.
Trotzdem sei einmal folgendes Gedankenspiel – orientiert an parteipolitischer Ausrichtung – auf den deutschen Bundestag unter folgenden Annahmen (und die hier zur Wahl stehenden Parteien) übertragen:
- CDA und CU – ähnlich der politischen Ausrichtung der CDU/CSU
- PvdA und SP – ähnlich der politischen Ausrichtung der SPD
- VVD und D66 – ähnlich der politischen Ausrichtung der FDP
- GL (GrünLinks) und PvdD – ähnlich der politischen Ausrichtung von B’90 / Grüne und Linke
- PVV – ähnlich der politischen Ausrichtung der AFD
Das Ergebnis sähe wie folgt aus:
Unter diesen Annahmen käme es im Deutschen Bundestag – basierend auf der derzeitigen Anzahl der Sitze (631) – fiktiv zu folgender Sitzverteilung:
- CDU/CSU = 15,80 % = 100 Sitze (derzeit 309 Sitze)
- SPD = 14,80 % = 94 Sitze (derzeit 193 Sitze)
- FDP = 33,40 % = 211 Sitze (derzeit nicht vertreten)
- B‘90/Grüne/Linke = 12,20 % = 77 Sitze (derzeit 127 Sitze, addiert)
- AFD = 13,10 % = 83 Sitze (derzeit nicht vertreten)
- Andere = 10,70 % = 66 Sitze (nicht vertreten)
Allein das Gedankenspiel einer Transformation des niederländischen Wahlergebnisses auf die deutsche Parteienlandschaft und einer fiktiven Zusammensetzung des Bundestages hat dem Verfasser viel Spaß bereitet. Sie – verehrte Leserin und verehrter Leser – können selbstverständlich gern ihre eigene Einordnung vornehmen!
hp | 16.03.17
Bilder und Grafiken | Quelle(n): NOS, dpa infocom, selbst (siehe Bilder und Grafiken)